Wer sein Kind liebt, der züchtigt es!
Sprüche 13,24
Es gibt wohl kaum einen Bibelvers, der mehr Kontroversen auslöst. Vielen stößt der Satz auf. Andere bestehen darauf – wir können biblische Aussagen schließlich nicht einfach außer Kraft setzen, weil sie unmodern sind. Aber was genau ist Züchtigung überhaupt?
Zwei Zugänge zu dem Wort „Züchtigung“ und „Zucht“ helfen uns zu verstehen, worum es Salomo geht. Fangen wir einmal mit einer Wortanalyse an – im deutschen Sprachgebrauch und im biblischen Grundtext.
1. Das Wort „Zucht“ im deutschen Sprachgebraucht
Bis heute sprechen wir von „züchten“. Dabei denken wir in erster Linie an unsere Tomaten im Garten oder an den Pflanzenliebhaber, der mit Eifer und viel Hingabe seine Pflanzen großzieht. Er gibt ihnen Wasser, Sonne, Dünger – und was sie eben brauchen.
Den Gedanken, dass auch Kinder wachsen uns viel Liebe brauchen, hat beispielsweise Friedrich Fröbel aufgegriffen. Er prägte den Begriff „Kindergarten“. Dort dürfen die Kinder „sein“, bekommen perfekte Wachstumsbedingungen und können sich entfalten. Der Kindergärtner behütet, pflegt und zieht die Kinder wie kleine Pflanzen auf.
„Züchtigung“ ist ein altdeutsches Wort, meint aber nichts anderes als sich liebevoll um etwas zu kümmern. Es hat erst einmal gar nichts mit irgendeiner Methode oder konkreten Handlung zu tun. Vielmehr beschreibt es, dass jemand für das Wachstum und die Entwicklung Verantwortung übernimmt. Alleine wird die Pflanze verkümmern. Schädlingen werden sie zerfressen, sie wird verdursten oder verhungern. Auch Kinder brauchen – davon gingen Eltern und Pädagogen immer aus – Anregung, Schutz, Zurechtweisung und Förderung.
2. Das Wort „Züchtigung“ in der Bibel
Salomo gebraucht das Wort „Züchtigung“ immer wieder, z. B. in Sprüche 3,11. Die ersten Christen lasen in ihrer griechischen Fassung des Alten Testaments das Wort „paideuein“ (παιδεύειν ). Der Begriff hat die gleiche Sprachwurzel, von der sich auch „Pädagogik“ ableitet.
Das Wort kann übersetzt werden als das „Führen“ eines Kindes, als „erziehen“ oder eben „pädagogisch handeln“. Die Aussage ist klar: Ein Kind, das geführt und erzogen wird, darf sich geliebt wissen. Zur Zeit des Alten Testaments war das für viele Kinder ein Privileg. Zahlreiche Kinder wurden nicht beachtet. Aristoteles sah es als Pflicht an, verkrüppelte und behinderte Kinder auszusetzen, damit sie verhungern. Kinder wurden oft als Eigentum der Eltern betrachtet, mit denen diese tun konnten, was sie wollten.
Der Wert des Kindes ist im Alten Testament ein ganz anderer als im Umfeld. Liebevoll kümmern sich Väter um ihre Kinder, geben ihren Glauben weiter. Bei Festen gab es zahlreiche symbolische Handlungen, die an die großen Taten Gottes erinnerten und für Kinder ansprechend gestaltet waren. Kinder stellten Fragen, Eltern hatten diese zu beantworten. All das hält Mose fest. Salomo weist noch einmal auf die Verantwortung der Eltern hin. „Wer sein Kind liebt, erzieht es.“
3. Missverständnisse über „Züchtigung“ und „Zucht“
Niemand unterstellt dem Pflanzenliebhaber, der die Pflanze züchtet, dass er seine Pflanze nach Strich und Faden verprügelt. Nun gibt es aber Menschen, denen es ein Dorn im Auge ist, wenn Christen ihre Kinder „züchtigen“ wollen. Was genau verbinden die Kritiker mit dem Begriff? Vielleicht klingt er in ihren Ohren alt und sie verbinden ihn mit traditionellen Erziehungsmethoden. Das Wort und die Aussage ist zunächst offen – nur, dass Kinder eben gelenkt, geführt und erzogen werden, das ist Salomo wichtig.
Warum wird das Wort dann in modernen Übersetzungen nicht mit „erziehen“ wiedergegeben? Die Frage ist berechtigt. Luther hat das Wort mit „züchtigt“ übersetzt. So klingt er einfach „richtiger“. Dass darunter heute oft die „körperliche Strafe“ verstanden wird und die Bedeutung verengt wird, konnte er nicht ahnen. Warum sollte man aber heute den Begriff „Züchtigung“ ändern, nur weil ihn irgendjemand umdeutet? Und ganz ehrlich: Würde man einem Übersetzer von Shakespeare vorwerfen, wenn er alte poetische Worte verwendet, anstatt sie in „Neudeutsch“ zu übertragen?
Da das Wort „züchtigt“ aus dem Altdeutschen stammt, bringen es viele fälschlicherweise mit alten Erziehungsmethoden in Verbindung. Dafür kann weder Salomo, noch der Bibeltext oder der Übersetzer etwas. Und auch Luther, der statt „Erziehung“ von „Zucht“ spricht, kann nichts dafür. Das Wort impliziert das nicht.
4. Züchtigung und Zucht heute
Jeder Pädagoge beschäftigt sich mit „Erziehung“. Es geht darum, Kinder zu formen, zu prägen oder ihnen zumindest günstige Entwicklungsbedingungen zu geben. Nur die „Antipädagogik“ tut das nicht.
Insofern stimmen auch moderne Pädagogen zu und wissen, dass Salomo recht hat, wenn er sagt, dass Kinder „gezüchtigt“, also „erzogen“ werden sollten. Erziehung strebt immer Ziele an. Das Kind soll sein Potenzial entfalten, Selbständig werden, in Gemeinschaft mit anderen leben. Für all das setzen Erziehende Maßnahmen. Sie zielen idealerweise auf Einsicht und Verständnis. Sanfte Erziehungsmaßnahmen sind Gespräche, aber auch logische Konsequenzen oder Wiedergutmachung sind wichtige Mittel der Erziehung. Eine Einführung in dieses Thema hier gegeben.
5. Züchtigung, Zucht und körperliche Strafe
Christliche Erziehung wird oft mit körperlicher Züchtigung assoziiert. Vielleicht einfach, weil das Wort missverständlich ist. Andererseits war es natürlich so, dass zu der Zeit Salomos die Körperstrafe tatsächlich in allen Kulturen verbreitet war. Ganz unabhängig von irgendeiner Religion. In anderen Kulturen konnten Eltern soweit gehen, ihr Kind ganz ohne einen Gerichtsprozess zu steinigen. Israel ist hingegen fortschrittlich, was den Schutz von Kindern angeht. Das Gesetz Moses schafft hohe Hürden – so einfach geht es dort nicht.
Die antike Welt war nicht „kindzentriert“. Im Gegenteil. Es war eine besondere Wertschätzung, wenn sich Erziehende ihrer Kinder annahmen und sie erzogen, um sie auf einen guten Weg zu begleiten. Auch Christen, Diakonissen und Nonnen haben sich Kindern angenommen, die auf der Straße leben mussten, weil ihre Eltern sie nicht erziehen wollten oder konnten. Immer wieder haben sie sich um Kinder in Notlagen gekümmert.
Diakonissen, Nonnen, Christen und Disziplin
Aufopferungsvoll haben sich Christen mit allen Kräften eingesetzt und Waisenhäuser gegründet: Heinrich Wichern, Georg Müller, Heinrich Johann Pestalozzi und viele andere. Geld haben sie wenig bekommen. Sie fühlten mit den Kindern, waren auf Spenden angewiesen, fasteten und beteten und erlebten oft im letzten Moment Gottes Hilfe. Wer die Diakonissen verurteilt, die Tag und Nacht im Einsatz waren, alleine 50 Kinder betreut haben und von einem freien Wochenende nur träumen konnten, hat einiges noch nicht verstanden.
Auch die Dorfschullehrerin hatte bis zu 100 Kinder aus sieben Klassenstufen zu unterrichten. Dass es da strengere Disziplin brauchte, versteht sich von selbst. Die Arbeitsbedingungen sind weit weg von unseren. Die Waisenhausväter und -mütter sind dadurch weder reich geworden, noch haben sie sich gesellschaftliche Anerkennung verdient. Sie hatten weder Urlaub, noch freie Wochenenden und selbst nachts waren sie an der Seite der Kinder. Das alles haben viele Christen getan, um Gottes Liebe – so gut es ihnen möglich war – weiterzugeben, Natürlich sind sie dabei an ihre Grenzen gekommen – und sie mussten sich durchsetzen, damit es irgendwie läuft. Hätten sie die Kinder auf der Straße lassen sollen? Hätten sie nicht die Erziehungsmittel ihrer Zeit anwenden sollen, die auch Eltern angewendet haben?
Nein, die alten Väter der Waisenhäuser, die Diakonissen und Nonnen waren nicht herzlos und erst recht nicht egoistisch. Über sanfte Erziehungsmittel hat man sich damals niemand Gedanken gemacht. Körperliche Strafen gehörten einfach dazu. Die Frage war nicht ob, sondern wie und mit welcher Einstellung geschlagen wurde. Da unterschied sich christliche Erziehung deutlich.
Christliche Erziehung früher
Es ist spannend, christliche Erziehungsbücher aus der alten Zeit zu lesen. Sie sond anders als weltliche Ratgeber: Die Eltern sollen das Kind nie aus Wut heraus züchtigen. Nach der Strafe sollten sie das Kind annehmen – der Fall war erledigt. Auf keinen Fall sollten Eltern dem Kind noch irgendetwas nachtragen, sondern das Kind wieder voller Liebe mit hineinnehmen. Strafen durften nicht das Leben der Erziehenden leichter machen, sondern sollten im Interesse des Kindes so geschehen, dass es lernt im Leben gut zurechtzukommen. Und immer wieder ging es darum, auf das Herz des Kindes zu achten. Versteht es, warum es erzogen wird? Wie nimmt es die Strafe auf? Lernt es oder wird sein Herz dadurch einfach nur hart? Das Vorbild der Eltern ist entscheidend. Die alten Bücher sind voller Wertschätzung und Liebe für das Kind. So herzlos, wie uns die „alte Erziehung“ heute verkauft wird, war zumindest die „christliche Erziehung“ nicht.
Missbrauch
Natürlich missbrauchten Erziehende im Einzelfall ihre Macht. Das tun sie bis heute – ganz ohne körperliche Zucht und körperliche Züchtigung. „Christliche Eltern“ waren hingegen angehalten – und sind es auch heute noch – sich selbst zu reflektieren, ihre Motive zu hinterfragen, nicht aus Egoismus zu züchtigen oder zu erziehen. Paulus warnt Väter eindringlich in Epheser 6 , ihre Kinder zum „Zorn“ zu reizen. Sein Gedanke ist, dass die Strafe aus damaliger Sicht angemessen sein musste, sonst würde das Kind verbittert und hart werden. Um das Herz sollte es gehen, das Galt es zu erreichen.
Erziehung und ihre Methoden waren schon immer Kinder ihrer Zeit. Salomo spricht in Sprüche 13,24 von einem Kontrast zwischen „Nichterziehung“ und „Schlägen“, als ob es keine dritte Alternative gäbe. Schläge waren ein wichtiges Erziehungsmittel der Antike. In Israel nicht mehr, als in anderen Kulturen. Salomo geht es aber vorrangig darum zu sagen, dass sich ein Kind glücklich schätzen kann, das erzogen wird – nicht so sehr um eine bestimmte Methode. Heutzutage mag vieles befremdlich klingen, aber damals bedeutete Erziehung eine hohe Wertschätzung von Kindern. Es lässt sich aber festhalten, dass im Alten Testament vergleichsweise sanft mit dem Kind umgegangen wurde und Erziehungsmittel mit Bedacht und liebevoll eingesetzt werden sollten.
Es ist traurig, wenn moderne Pädagogen – die Dank öffentlicher Hilfen ein festes Einkommen bekommen, deutlich besser eingruppiert und gesellschaftlich anerkannt sind – auf Diakonissen, Pietisten oder Nonnen arrogant von oben herabsehen, die sich voller Selbstlosigkeit aufgeopfert, auf Spendenbasis gearbeitet und die ersten Waisenhäuser aufgebaut haben, um Kinder die Liebe Jesu Christi weiterzugeben.
Fazit über Züchtigung und Zucht in der Erziehung
Salomos Botschaft
Die Botschaft von Salomo für uns ist klar: Kinder brauchen Erziehung und Führung. Natürlich hat Salomo recht, wenn er sagt, dass Kinder Fürsorge Erwachsener benötigen, die sich um sie kümmern, die hegen und pflegen, leiten und erziehen. Erziehung verfolgt per Definition Ziele und setzt Mittel ein, um diese zu erreichen. Ohne Erziehung bleibt die Entwicklung des Kindes auf der Strecke.
Das Kind braucht Erziehung, um sein menschliches Potenzial zur Entfaltung zu bringen. Menschen können denken, reflektieren, planen und sprechen – aber eben nur, wenn sie erzogen werden. Pädagogik geht daher Hand in Hand mit der Idee der Züchtigung, bei der günstige Wachstumsbedingungen geschaffen werden. Erziehende beobachten und unterstützen ihre Kinder. Stets geht es darum, Entwicklungen zu beurteilen und diese zu fördern oder einzudämmen. Neues wird eingebracht, Verhalten und Einstellungen verändert. Die Maßnahmen dazu sind vielfältig.
Keine Erziehung ist auch keine Lösung – Hospitalismus, Wolfskinder und andere Probleme
Auch Pädagogen wissen, dass Vernachlässigung zu gravierenden Entwicklungsproblemen führt. Die Entwicklung von Kindern leidet stark, wenn Liebe und Erziehung fehlen. Wir kennen Geschichten von „Wolfskindern“ oder „wilden Kindern“, die aufgrund von Vernachlässigung und mangelnder Anregung gravierende Probleme hatten. Moderne Studien, wie die von René Spitz, John Bowlby oder John Harlow, bestätigen ähnliche Ergebnisse und sprechen von Hospitalismus oder Reiz-Deprivation. René Spitz stellte in seiner Untersuchung fest, dass Kinder, die von liebevollen Gefängnismüttern betreut wurden, eine bessere Entwicklung zeigten als Kinder, die von professionellen Pflegerinnen begleitet wurden. Es braucht also Zuwendung, Liebe und Erziehung. Methoden spielen zwar eine Rolle, sind jedoch von untergeordneter Bedeutung.
Eine Antipädagogik und Rousseaus Maxime der maximalen Zurückhaltung in der Erziehung haben sich zurecht nicht durchsetzen können. Er können zwar einzelne Methoden hinterfragen, jedoch nicht das zugrundeliegende Konzept an sich – egal ob wir nun von Erziehung und pädagogischem Handeln sprechen oder das gleiche Züchtigung nennen.
Christliche Pädagogik und Züchtigung heute
Nicht nur für christliche Eltern oder für Salomo gehört Erziehung dazu. Auch für die Pädagogik spielt „Erziehung“ eine zentrale Rolle. Damit beschäftigt sie sich in ihrem Kern. Der Text Salomos fordert auf, diese Erziehungsaufgabe ernst zu nehmen, Ziele zu setzen und anzustreben und nach geeigneten Mitteln zu suchen. Immer wieder werden Entwicklungen beobachtet, beurteilt und entweder gefördert oder ihnen entgegengewirkt. „Züchtigung“ meint nichts anderes.
Konkrete Erziehungsmaßnahmen sind immer Kinder ihrer Zeit gewesen. Zu Salomos Zeit gab es ganz sicher keine Handy- oder Fernsehverbote. In unserer Kultur haben körperliche Strafen wiederum eine ganz andere Bedeutung und Auswirkung für die Kinder, die damit konfrontiert sind. Kinder bekommen mit, wie andere „erzogen“ werden, zweifeln an sich und fühlen sich abgelehnt. Zu anderen Zeiten werden sie in körperlicher Strafe die Liebe ihrer Eltern erkannt haben. Dennoch wurden diese Strafen auch missbraucht, wie auch „moderne“ Erziehungsmittel heute missbraucht werden können. Die Grundhaltung hinter dem Einsatz der jeweiligen Maßnahmen ist darum entscheidend. Die Liste der Maßnahmen ist lang. Letztlich zielen sie immer auf Einsicht und Verständnis. Eine Einführung in dieses Thema der Erziehungsmaßnahmen und Erziehungstipps werden hier gegeben.