Seit ich mich mit christlicher Erziehung beschäftige, sind mir viele Erziehungsratgeber unter die Finger gekommen. Das Spannende daran ist: In den wenigsten geht es um Jesus Christus. Wie kann es sein, dass Jesus selbst kaum eine Rolle in christlicher Erziehung spielt?
Die Marktlage christlicher Erziehungsratgeber sieht so aus:
1. Die einen zitieren alttestamentliche Bibelstellen. Die Stellen haben oft zwar wenig mit Christus zu tun, aber immerhin sind sie in der Bibel zu finden. Da gibt es dann wiederum Ratgeber, die willenlos Stellen aus dem Zusammenhang reißen. Andere tun das nicht. Vor allem stört mich aber, dass Jesus Christus dabei nur beiläufig vorkommt. Egal ob nun Stellen herausgeholt werden, in denen es um die Liebe geht und Einfühlsamkeit, Bindung und Entfaltung im Zentrum stehen oder andere, in denen der Gehorsam, Einfügung in Ordnung und Zuverlässigkeit betont wird: Aus christlicher Sicht ist doch weder das eine, noch das andere der Endpunkt oder das Zentrum. Ich möchte mich da zwar zu dem stehen, was mir wichtig ist und ich aus der Bibel erkannt habe, in einen Kulturkampf möchte ich nicht hineingeraten. Meine Kinder sollen schließlich nicht für meine moralischen Werte, sondern für Jesus Christus gewonnen werden.
2. Die nächsten halten sogenannte christliche Werte hoch, als ob christliche Erziehung „Gehorsamserziehung“ oder eine Erziehung zu „gutem Benehmen“ sei. Tendenziell sind es konservative Werte, die hochgehalten werden. Zuweilen betonen aber auch „Ex-vangelikale“ und sogenannte „progressive Christen“ genau das Gegenteil. Gelegentlich geht es um die Abschirmung von schädlichen Einflüssen und hin und wieder werden die Ausführungen mit Bibelversen dekoriert. Die anderen versuchen dann alles zu „Dekonstruieren“.
An der Diskussion über christliche Werte ist erst einmal nichts verkehrt, aber wenn Christus dann nur noch sehr marginal, wenn überhaupt auftaucht, ist es traurig. Es geht doch nicht darum, irgendjemand davon zu überzeugen, wie hipp und modern Christen sein können oder davon, dass sie als einzige noch konservative Werte hochhalten. Da verkommt christliche Erziehung und die lebendige Beziehung mit Jesus ist völlig aus dem Blick geraten.
3. Die dritten Erziehungsratgeber vermitteln Christen pädagogische Erkenntnisse, die ich aus jedem guten Pädagogikbuch kenne. Als Pädagoge freue ich mich natürlich, wenn das eine oder andere auch bei christlichen Eltern ankommt. Eindrücklich wird in diesen Ratgebern aufgezeigt, wie an der Bindung zum Kind gearbeitet wird, um ihm göttliche Liebe weiterzugeben. Das ist nicht falsch. Es ist sogar wichtig, denn Liebe – oder eben auch bedingungslose Wertschätzung – ist ein zentraler Bestandteil der christlichen Botschaft und auch Merkmal der Jesus-Nachfolger. Aber es trifft noch nicht ganz den Kern christlicher Erziehung. Christen geht es darum, Gottes Liebe weiterzutragen, nicht irgendwie zu lieben. Zuweilen frage ich mich, warum diese christlichen Eltern nicht einfach auf „ganz normale“ Erziehungsseminare gehen. Ist ihnen die Dekoration mit einzelnen Bibelversen wirklich so wichtig?
Das Fatale: Jesus Christus selbst scheint oft in den Hintergrund zu treten. Dabei ist es doch das, was uns als Christen ausmacht: Unsere Beziehung zu Jesus Christus. Unsere Hoffnung, dass er vorausgegangen ist, um uns eine ewige Stätte vorzubereiten (Johannes 14,2). Und unser Glaube, dass zwar nicht jeder Gottes Kind ist, aber jeder das Recht hat, Gottes Kind zu werden (Johannes 1,12).
Natürlich suchen auch christliche Eltern praktische Tipps, Erziehungsmittel und -maßnahmen. Die Vielfalt an Einstellungen in christlichen Ratgebern ist dabei genauso groß, wie im nichtchristlichen Büchermarkt und reicht von einer unendlich bedürfnisorientierten Erziehung bis hin zu autoritären Ansätzen. Je nach Autor sind sie mit Bibelversen dekoriert. Der Bezug zum christlichen Glauben ist oft marginal.
Dass der Bezug zur Pädagogik gesucht wird, mag daran liegen, dass die Bibel eben kein Erziehungsratgeber ist. Genauso wenig ist sie ein medizinisches oder technisches Handbuch. Es gibt in der Bibel viele Beispiele, Vorbilder, Anregungen und wichtige Hinweise, aber keine systematisch entfaltete Erziehungslehre. Darum sind wir auf Überlegungen angewiesen , wie Erziehung in unserer Zeit aussieht, funktionieren kann und gelebt werden sollte. Als Christen kommen wir nicht drumherum, pädagogische Impulse aus anderen Quellen sorgfältig zu prüfen, ob sie mit unserem Glauben verträglich sind. Die Bibel ist unser Richtstab. Trotzdem ist die Bibel keine Schritt-für-Schritt-Anleitung für jegliche Lebensfrage. Sie gibt eher eine Richtung im Sinne eines Kompass vor. Darum wäre es – vorsichtig ausgedrückt – irgendwie wünschenswert, dass das „Jesus Christus“ und unsere Hoffnung auf ein himmlisches Zuhause einen zentraleren Platz bekommt.
Ein mir vorliegendes Manuskript über Ziele christlicher Erziehung enthält zunächst fünf umfangreiche Abschnitte über die Entwicklung des Charakters, Gehorsam, Belastbarkeit, Pflichtbewusstsein und Ehrlichkeit. Erst an sechster und siebter Stelle tauchen Bekehrung und ein Leben mit Jesus Christus auf. Das sind gerade einmal zwei der sieben Ziele christliche Erziehung. Es scheint, als stünde zuerst eine konservative Werterziehung im Vordergrund, bevor Jesus Christus vielleicht irgendwann eine Rolle spielt. Jesus Christus selbst erscheint eher am Rande.
Christliche Erziehung ist tendenziell wertkonservativ. Soziale Unterstützung, Hilfeleistung und Pflichtbewusstsein spielen eine etwas größere Rolle. Auch Autonomie wird in höherem Maß unterstützt, als bei nichtchristlichen Eltern. Dazu gibt es wissenschaftliche Studien, die ich hier zusammengetragen habe. Aber das alles ist nur eine leichte Tendenz und die Vielfalt von christlichen Eltern ist groß.
Elternbefragungen zeigen, dass Charakterwerte, Manieren und Disziplin bei christlichen wie nichtchristlichen Eltern wieder gefragt sind. Traditionelle Werte sind „in“ und möglicherweise auch gut. Aber Belastbarkeit, Gewissenhaftigkeit und Ehrlichkeit sind keine herausstechenden Merkmale christlicher Erziehung. Viele nicht-religiöse Eltern geben diese Werte ihren Kindern sehr erfolgreich weiter. Christen sind möglicherweise im Durchschnitt etwas konsequenter. Dennoch wäre es fatal, wenn der Begriff „christlich“ zu einem kulturellen oder moralischen Konzept verkommt.
Traditionelle Werte sind kein Alleinstellungsmerkmal christlicher Erziehung und nicht deren Kern. Mittel-, Methoden und Ansätze sind annähernd so vielfältig, wie bei anderen Eltern auch. Und wahllose Bibelverse ohne Bezug zu Christus machen keine christliche Erziehung aus. Das, was christliche Erziehung in ihrem Kern ausmacht, ist die zentrale Rolle von Jesus Christus.
Es mag christliche Eltern geben, die traditionelle Werte hochhalten und andere, die versuchen hipp und modern mit allen Trends mitzugehen. Die Frage ist und bleibt, ob das „Christliche“ mehr ist, als eine Begründung der eigenen Einstellungen und Vorlieben. Geht es zentral um Jesus Christus und unsere christliche Hoffnung auf eine „leibliche Auferstehung“ die soviel mehr ist als ein „Weiterleben im Geist“?