An der Supermarktkasse beobachtete ich eine Mutter mit ruhigen, wohlerzogenen Kindern, während meine eigenen im Einkaufswagen Chaos stifteten und eifrig versuchten, so viele Packungen wie möglich auf das Band zu legen. Bei Eiern, Joghurt und anderen empfindlichen Packungen, versuchte ich ihnen zuvorzukommen. Die Kontraste in der Erziehung waren offensichtlich. Mir war Aktivität wichtig und die Lernerfahrung meiner Kinder, auch wenn mal etwas runterfällt. Ihr waren Disziplin und Ordnung wichtiger. Und was ist jetzt richtig?
Die Bibel bietet kein ausgearbeitetes Erziehungskonzept, sondern präsentiert biografisch orientierte Glaubensvorbilder. David, als „Mann nach dem Herzen Gottes“, ist da genau der Richtige. Die Betrachtung seiner Erziehung ermöglicht interessante Einblicke in familiäre Dynamiken, regt zur Reflexion an und birgt so manche Überraschung in sich.
Katastrophale Entwicklungen David’s Kinder
David, der mit 30 Jahren König über das Reich Juda wird, gründet seine Familie in Hebron und bekommt dort insgesamt sechs Söhne und einige Töchter. Amnon, Tamar und Absalom sind drei der Kinder. Nach sieben Jahren zieht die Familie nach Jerusalem, wo David die Regentschaft über ganz Israel übernimmt. Die Söhne erhalten in ihrer Jugend einen hohen Rang und Privilegien, sogar mit dem Rang von Priestern. Informationen haben wir über folgende Söhne:
1. Ammon. In der Jerusalemer Zeit ereignen sich weitere Eroberungen, und Davids Leben scheint zunächst ruhiger zu werden. Doch die Entwicklung seiner Kinder wirft Schatten auf die Familie. Amnon, der älteste Sohn, verliebt sich in seine Halbschwester Tamar und plant ihre Vergewaltigung. Tamar, nach der Vergewaltigung gesellschaftlich isoliert, hat laut dem Gesetz die Möglichkeit, Amnon zu heiraten, aber er verweigert dies und verstößt sie1.
2. Absalom, Davids dritter Sohn und nächster in der Thronfolge2, erfährt von der Vergewaltigung und kümmert sich um Tamar. Sie wohnt in seinem Haus. Er fordert sie allerdings auch zum Schweigen auf3. Ging es ihm darum, das dunkle Familiengeheimnis zu bewahren oder tatsächlich um den Familienfrieden? Doch sein Hass gegenüber Amnon wächst, und er plant dessen Mord, der zwei Jahre später umgesetzt wird. Absalom flieht vor seinem Vater ins Ausland und kehrt später zurück, um eine Verschwörung gegen David vorzubereiten.
Nach einiger Zeit erbarmt sich David. Sein Sohn darf nach Jerusalem kommen. In den Palast darf er nicht. Absalom ergreift geschickt die Macht, indem er diejenigen abfängt, die ihre Anliegen vor das königliche Gericht zu David bringen wollen. Dabei verbreitet er Unwhahrheiten über David. Mit 50 Leibwächtern unterstreicht er seinen königlichen Status. Er zettelt einen Aufstand gegen seinen Vater an4. Dann übernimmt er erfolgreich den Thron, zwingt seinen Vater ins Exil und besiegelt seinen Triumph, indem er öffentlich mit den Nebenfrauen Davids schläft5. Durch die planvolle Beseitigung seines Bruders und eine vierjährige Vorbereitung stürzt er seinen Vater. Durch geschickte Manipulation übernimmt er schließlich die Macht und setzt sich als König ein.
3. Adonija, als nächster in der Thronfolge, wird als arrogant und ungeduldig beschrieben. Das Schicksal der anderen Kinder bleibt unklar. Diese Erzählungen verdeutlichen die dunklen Wege von Davids Nachkommen und werfen die Frage auf, welche Rolle Davids Erziehung in der Formung ihrer Persönlichkeiten inmitten gesellschaftlicher Einflüsse spielte.
Die Entwicklung der Kinder, insbesondere von Amnon und Absalom, zeigt, dass David mit schwerwiegenden familiären Herausforderungen konfrontiert ist. Die Frage nach der Rolle von Davids Erziehung in Bezug auf die Persönlichkeit seiner Kinder und anderer Umweltfaktoren bleibt zunächst offen. Die Ereignisse und die Dynamik in Davids Familie sind traurig.
David’s Erziehung
Die tragischen Entwicklungen seiner Kinder sind endgültig, und David kann nichts mehr ändern. Die Erzählungen regen zum Nachdenken über Davids Erziehung an. Vielen Lesenden scheint klar zu sein: Wenn David’s Kinder „verkorkst“ sind, muss seine Erziehung wohl irgendeine Schuld daran tragen. Anhaltspunkte David die Schuld zu geben, gibt es in der Erzählung ausreichend.
Darum gibt es viele Thesen über die Ursachen, die in zahlreichen Predigten und Vorträgen gebetsmühlenartig wiederholt werden:
These der „Wertkonservativen“: Einige kritisieren David dafür, seine Söhne unzureichend zu führen. In den biblischen Erzählungen über David offenbaren sich besorgniserregende Entwicklungen bei seinen Kindern, gepaart mit einer eher zurückhaltenden Erziehung. David greift nach der Vergewaltigung Ammons nicht ein. Einige Ausleger meinen, dass er dadurch die Selbstjustiz durch Absalom hervorgerufen habe, der das Leid seiner Schwester sah und sie schließlich rächte. Andere deuten die Aussage, dass seine Kinder den Rang von Priestern hatten und er Adonija nie zur Rechenschaft für irgendetwas zog so, dass David grundsätzlich nicht seine Kinder erzog6. Warum der Erzähler dann aber nicht sagte: „David zog seine Kinder nie zu Rechenschaft“, sondern ausdrücklich Adonija erwähnt? Jedenfalls sehen die Ausleger das Problem in einer zu permissiven Erziehung.
Richtig ist: David war auffallend passiv und hat sichtlich Fehler gemacht. Eine Verwaltigung unter den Tisch zu kehren ist nicht nur aus wertkonservativer Sicht problematisch. Da hätte er sicher energisch eingreifen müssen.
Aber: So interessant die Beobachtungen sind – sie sind nach biblischer Überlieferung nicht die Ursache der katastrophalen Entwicklung.
These der „Progressiven“: Andere Ausleger interpretieren die Geschichte ganz anders bzw. setzen an einer späteren Beobachtung an. David wird vorgeworfen, er habe seinen Kindern seine Liebe nicht gezeigt und sei nicht vergebungsbereit gewesen. Sie weisen darauf hin, dass David Absalom nach dem Mord an seinem Bruder zwar nach Jerusalem zurückkommen lässt. In den Königspalast darf sein Sohn nicht kommen. Er bleibt gegenüber seinem Sohn auf Distanz. Sein Sohn muss erst ein Feld in Brand stecken, um die Aufmerksamkeit und Zuwendung seines Vaters zu erhalten. Diese mangelnde Beziehung habe sich auf seine Kinder ausgewirkt.
Auch diese Thesen ist biblisch nicht so einfach haltbar und ganz ehrlich: Sie wirkt ein wenig so, als ob unsere postmodernen Erziehungsideale in den Text hineingelegt werden. .
Unerwartete Ursachen
Die gute Botschaft ist: Im Bibeltext wird tatsächlich explizit eine Ursache ausgeführt, die uns einen Hinweis auf die Lösung gibt. Die biblische Erzählung nennt im Text jedoch eine ganz andere Ursache der katastrophalen Entwicklungen. Es geht nicht um David’s Erziehung, sondern um sein Leben.
Ein entscheidendes Mosaikstück in der Familiengeschichte Davids fehlt in beiden Auslegungen, das oft übersehen wird. Hinter den offensichtlichen Familiendynamiken verbirgt sich nach der biblischen Erzählung eine ganz andere Ursache. Es geht um ein Ereignis, das viele Jahre zurückliegt.
Als seine Kinder noch im Kindergartenalter sind, zieht David nach Jerusalem. Dort wird sein Leben ruhiger. David selbst zieht trotz seiner Funktion als Heerführer nun nicht mehr selbst in die Schlachten. Er hat Zeit das Leben zu genießen. Das führt dazu, dass er sich nach anderen Frauen umsieht und schließlich mit einer verheirateten Frau, Bathseba, schläft.
Nachdem David den Ehebruch mit Bathseba begeht und ihren Mann ermordet, erhält er ein prophetisches Wort Nathans. Es besagt, dass sich seine Familie gegen ihn erheben wird7. Diese Verbindung zwischen Davids privaten Sünden und den Schicksalen seiner Kinder ist komplex. Und doch fällt etwas auf.
Irgendwie hängt also das, was in Davids Familie passiert, mit dem zusammen, was David einem anderen Menschen angetan hat. Die Affäre mit Bathseba, die er im Geheimen beging, wirkt sich auf die Entwicklung seiner Nachkommen aus. Was David mit einer Frau im Verborgenen tut, macht Absalom vor aller Welt. Er schläft mit den Frauen eines anderen auf dem Palastdach.
Anfragen an christliche Eltern
Unser Leben hat einen nachhaltigen Einfluss auf unsere Kinder. Die Entwicklung von David’s Kindern könnte über sein Vorbild erklärt werden. Es gibt auffällige Parallelen zwischen Davids Fehlern und den Taten seiner Kinder. Und doch steckt mehr dahinter. Unser Verhältnis mit Gott hat weitreichende und vielschichtige Auswirkungen. Letztlich wissen wir nicht einmal, ob seine Kinder von der Affäre wussten. Unser verborgenes Leben mit Gott ist wichtiger, als das richtige Erziehungshandeln. Wenn wir in unser Leben und das Innere nicht reinigen, wenn wir in unserem Herzen nicht aufräumen, wirkt sich das auf unsere Familien aus.
Eigenverantwortung der Kinder
Das prophetische Wort, das David begleitet, ist eine Seite der Medaille. Die Kinder sind sicher keine passiven Opfer, sondern selbst für das verantwortlich, was mit ihnen passiert. Sie agieren in den sich entfaltenden Ereignissen. Ebenso sind unsere Kinder keine Opfer ihrer Anlagen oder frühkindlicher Erfahrungen mit uns. Anlage und Umwelt geben ihnen Möglichkeiten und Grenzen. Dennoch ist es in ihrer Hand, was sie daraus machen. Sie sind selbst verantwortlich.
Und doch ist es aus einer anderen Perspektive eben doch unsere Verantwortung als Eltern. Wie David laden wir Schuld auf uns. Nicht nur im direkten Handeln gegenüber unseren Kindern, sondern durch unser ganzes Leben. Alles, was wir tun beeinflusst unsere Kinder. Sind wir gestresst, agieren wir entsprechend mit ihnen. Dann ist es unsere Verantwortung unser Leben so zu gestalten, dass die Frucht des Geistes, nämlich Frieden, Freude oder Geduld, wieder Raum in unserem Leben bekommt. Somit wirkt sich sogar unsere Arbeit und unsere Freizeitaktivitäten auf unsere Kinder aus. Wir sind es ihnen schuldig, unser Leben so zu gestalten, dass unsere Liebe spürbar wird.
David’s Suche nach Gott
Weder der Erzähler noch David analysieren die Situation in einer Weise, in der es in erster Linie um Schuldfragen geht. Und doch weiß David, dass er fatale Fehler gemacht hat, unter denen seine Familie leidet. Er weiß, dass sein Fehler zu den Problemen in der Familie führt. Seine Kinder sind Mörder, Vergewaltiger und trachten sogar ihm selbst nach dem Leben. David sucht Hilfe bei Gott und vertraut darauf, dass Gott ihn retten kann.
Statt auf einen Ritus zu vertrauen, wendet sich David an Gott selbst. „Mein Gott, ich suche dich mit ganzem Herzen. Meine Seele verlangt nach dir, mein ganzer Körper sehnt sich nach dir in diesem trockenen Land, wo kein Wasser zu finden ist.“ schreibt er in der Zeit, in der die Folgen seiner Schuld für seine Familie auf einem Hohepunkt angelangt sind und er in der Wüste vor seinem Sohn flieht. Davids Lieder in dieser Zeit, besonders Psalmen 3 und 63, zeigen seine tiefe Sehnsucht nach Gott und Dankbarkeit für Rettung. Die Bundeslade lässt er zurück. Religiöse Handlungen und Bräuche sind ihm zweitrangig. Er sucht Gottes Nähe, indem er sein Herz reinigt.
Die Folgen seines Handelns nimmt er aus Gottes Hand. Seinen Feinden vergibt er. Als David die Herrschaft zurückgewinnt, verzichtet er darauf, die Aufständischen zu bestrafen, und betont die Wiederherstellung der Einheit in Israel. Davids Geschichte verdeutlicht nicht nur die Konsequenzen persönlicher Sünden, sondern auch seine Hingabe an Gott und seine Bereitschaft zur Schuldeinsicht und Veränderung.
Botschaft an christliche Eltern
David gibt uns zwei Botschaften: Erstens, kümmere dich um dein Herz und deine Seele. Schaue auf dein Innerstes. Das, was in dir geschieht, hat Auswirkungen, die du nicht vorhersehen kannst. Deine Seelenhygiene hat ungeahnte Effekte auf die Entwicklung deiner Kinder. Was sind deine Motive und Antriebskräfte? Was gilt es zu reinigen? Dein Leben wird sich auswirken – nicht nur deine Erziehung.
Zweitens, bringe deine Fehler zu Gott. David muss immer wieder mit Folgen seiner fatalen Fehler leben. Er tut Buße, verzichtet auf sein Essen, fastet, trauert über die Folgen seiner Schuld und geht dann wieder vorwärts. Fehler sind passiert, aber die Zukunft liegt in Gottes Hand. Als Christen können wir die Vergangenheit loslassen, weil Jesus Christus unsere Schuld getragen hat. Wenn wir unsere Fehler bekennen dürfen wir sicher wissen, dass sie vergeben sind.
Zu guter Letzt: Die Ursachen sind komplex. Ich habe in den letzten Jahren viele Christen getroffen, die sich auf die Schulter klopfen, weil sie ihre Kinder sich Dank ihrer Erziehung so gut entwickelt haben. Die Sätze der erfolgreichen Christen waren: „Wenn ihr nur vorangeht, dann klappt das mit euren Kindern“ und „Bei einem Kind kann es mal daneben gehen, aber wenn sich vier Kinder problematisch entwickeln, muss es an der Erziehung liegen“. So einfach ist das mit Menschen leider nicht. Wir sind schwach, fehlerhaft, egoistisch und werden es nicht schaffen, unseren Kindern zu geben, was sie brauchen. Es braucht Gottes Gnade!
Eine Rückschau ist hilfreich, um die gleichen Fehler nicht zu wiederholen. Aber die Lösung der Zukunft hängt nicht daran, dass diese Fehler der Vergangenheit detailliert analysiert werden. Christus hat unsere Schuld getragen. Er ist am Kreuz gestorben, damit wir die Vergangenheit nicht festhalten, wiedergutmachen und aufarbeiten müssen. Diese Aufgabe hat Christus für uns übernommen. Genauso nimmt er unsere Zukunft in die Hand, nimmt uns an seine Hand, um uns in diese Zukunft zu führen.