Frei erziehen – Halt geben

Das Buch „Frei erziehen – Halt geben“ von Tobias Künkler, Tobias Faix und Damaris Müller (Hg., SCM) wird als „Praxisbuch“ benannt. Darin enthalten sind zahlreiche kurze Kapitel sehr unterschiedlicher Autoren. Viele Aspekte werden jeweils kurz angerissen. Es handelt sich weniger um einen Ratgeber, der einer bestimmten Systematik folgt. Stattdessen werden zahlreiche Aspekte kurz beleuchtet.

Das Kapitel zwei ist von den Herausgebern unter der Überschrift „Grundlagen der christlichen Erziehung“ verfasst. Es kann daher am ehesten als die Basis der weiteren Kapitel gesehen werden, in dem jeweils sehr kurze Einzelbeiträge folgen. Darum wird dieses Grundlagenkapitel zunächst dargestellt, um einen kleinen Einblick in die Grundausrichtung des Buches zu bekommen.

Grundlagenkapitel: Grundlagen der christlichen Erziehung

Als Ziel christlicher Erziehung wird – basierend auf einer umfassenden Befragung christlicher Eltern in einer Studie der Autoren – formuliert, dass Kinder gläubig werden und den Glauben ihrer Eltern übernehmen. Dabei wird gleich zu Beginn festgehalten, dass Kinder von Anfang an eigenständige „Persönlichkeiten“ und keine formbaren Tonklumpen sind (S. 41).

Weiterhin wird festgestellt, dass christliche Eltern automatisch christlich erziehen und ihre Kinder prägen. Die Art und Weise wie sie ihren Glauben vermitteln, ist jedoch sehr unterschiedlich. Gesellschaftlich hat sich ein Wandel hin zu einer „warmen und demokratischen Erziehung“ vollzogen, der sich auch auf christliche Eltern auswirkt. Das Gottesbild ist „heute eher“ von einem „liebenden und fürsorglichen Charakter“ geprägt. Das gilt für christliche, wie für andere Eltern. Christliche Eltern sind heute überzeugt, dass Glaube nicht unter Zwang entsteht (S. 42).

Die Wahrscheinlichkeit, dass Kinder sich für den Glauben ihrer Eltern entscheiden, ist den Autoren zufolge relativ hoch. Als Mittel wird vor allem die Nachahmung des vorgelebten Glaubens gesehen (S. 43). Insofern können Eltern sich gewissermaßen entspannen. Eine Glaubenserziehung wird als Recht des Kindes gesehen, das selbst viele Fragen nach dem Sinn des Lebens, Tod oder auch Gott selbst stellt (S. 44).

Die Autoren legen Wert darauf, dass die Erziehung altersgemäß stattfinden sollte. Dazu vertrauen Erwachsene besonders im Kleinkindalter ihrer „Intuition“, nehmen Bedürfnisse des Säuglings wahr und reagieren darauf (S. 45f.). Weiterhin wird aufgezeigt, dass Kinder die Welt anders wahrnehmen und die Denkentwicklung nach Jean Piaget angerissen (S. 46-48). Im Folgenden wird die Bindungstheorie, die von Autoren wie Mary Ainsworth oder John Bowlby bekannt ist, entfaltet. Die Bindung zur Mutter wird dann auf die Bindung zu Gott übertragen (S. 52f.):

  1. Wie das Kind die Nähe der Mutter sucht, suchen Christen die Nähe Gottes, um dort gehalten zu werden und Geborgenheit zu erfahren;
  2. Trennung von der Mutter verursacht bei dem Säugling Stress, ebenso ist der Gläubige gestellt, wenn er sich von Gott getrennt fühlt;
  3. Sichere Bindung ist die Basis des Explorierens bei Kindern, ebenso haben Gottes Kinder Kraft, Stärke und Zuversicht, wenn sie Gott als Heimat oder Burg erfahren;
  4. Wie die Bindungsperson ein sicherer Hafen ist, ist Gott der sichere Hafen des Gläubigen.

Sicher gebundene Personen haben tendenziell ein positives Bild von Gott, weniger Angst von ihm verlassen zu werden und erfahren ihn als vertrauenswürdig und zuverlässig (S. 53).

Als nächstes widmen sich die Autoren dem Gottesbild christlicher Eltern. Das Bild habe sich durch gesellschaftliche Veränderungen geändert, hin zu einem „liebevollen Gott“, verbunden mit einem warmen Erziehungsstil (S. 58).

Schließlich gehen die Autoren auf die Persönlichkeit von Erziehenden ein. Zunächst beschreiben sie ein Konfliktbeispiel eines nachgebend, fürsorglichen und abwartenden Vaters und einer fordernden, schnell entscheidenden Mutter (S. 59). Aus den Persönlichkeitsunterschieden entstehen Konflikte. Wie damit umgegangen wird, wirkt sich wiederum auf Kinder aus (S. 60). Die Autoren stellen das DISG-Persönlichkeitsprofil vor, das helfen soll „sich selbst und andere besser zu verstehen“ S. 62-66). Die Ausführungen resümieren in der Erkenntnis, dass es im Erziehungsalltag um ein Verstehen und Aushandeln verschiedener Bedürfnisse geht, was wiederum Geduld, Zeit und ein Aufeinanderzugehen brauche (S. 67).

Die letzten beiden Seiten des Kapitels stellen klar, dass es die richtige Erziehung nicht gibt. Es geht darum, eigene Verhaltensweisen zu reflektieren, Gelassenheit in Konfliktsituationen zu entwickeln und Verschiedenheiten zu feiern (ebd.). Es wird wiederholt dass das eigene Erziehungsverhalten oft von Eltern abgeschaut ist und dieses entweder weiterführt oder sich bewusst davon abgrenzt. Eltern wird nahegelegt, auf ihre Erfahrungen zurückzublicken und zu überlegen, was sie weitergeben wollen (S. 68). Für christliche Eltern heißt dass auch zu überlegen, wie ihnen Glaube vermittelt wurde, wie der Weg bewertet wird.  

Fazit

Zunächst einmal ist es lobenswert, dass Künkler, Faix und Müller durch ihre Studie mit dem Vorurteil aufräumen, christliche Erziehung sei heute noch autoritär. Durch ihre großangelegte Befragung konnten sie nachweisen, dass christliche Erziehung heute sehr viel positiver ist, als ihr Bild in der Öffentlichkeit. Das verdient Anerkennung. Nun sollte mit diesem Band ein „Praxisbuch“ herausgegeben werden.

Das Buch reißt viele sozialwissenschaftliche Theorien an, führt sie aber nicht weiter aus – weder theoretisch, noch praktisch. Sie sind also weder fachlich sehr tiefgängig, noch wird deutlich, wie sie bei einer christlichen Erziehung helfen. Insgesamt wirken die vielen jeweils nur kurz angerissenen Aspekte eher erschlagend. Die Einzelbeiträge sind zwar irgendwie geordnet, aber man merkt eben doch, dass hier viele Personen beteiligt sind und es sich nicht um ein „Gesamtwerk“ handelt. Der Bezug zum christlichen Glauben oder gar Jesus Christus wird nur knapp in Ansätzen dargestellt und ist eher sehr allgemein gehalten. Impulse gibt es hier viele und sehr vielfältig. Wer Ideen zum Weiterdenken braucht, kann sie hier finden, muss sie dann aber an anderer Stelle vertiefen.