Ist christliche Erziehung streng und rigide?

Die Vorstellung christliche Erziehung sei streng, rigide und mit Zwang verbunden, ist verbreitet. Betroffene berichten von negativen Erfahrungen mit religiösen Eltern, Lehrern oder anderen Erziehenden und sehen diese als Beleg ihres Bildes von christlicher Erziehung. Einzelbegegnungen mit katholischen, pietistischen oder freikirchlichen Nachbarn stärken diese skeptischen Einstellung. Erfahrungen sind subjektiv, darum bedarf es einer größeren Betrachtung, um gut argumentieren zu können. Was sagt die Forschung über christliche Erziehung? Tatsächlich wurden die Zusammenhänge in empirischen Studien sowohl in den USA, als auch in Europa untersucht.

In den USA wurden vor allem festgestellt, dass höhere Religiösität mit häufigeren Interaktionen, mehr Wärme und Kommunikation zusammenhängt. Der Erziehungsstil ist tendenziell autoritativer. Eltern sind engagierter, liebevoll und führender, als der nichtreligiöser Eltern.

Allerdings formuliert Paul Veermer, der in den Niederlanden hierzu eine Studie durchgeführt hat, dass der religiöse Effekt zumindest in seiner Stichprobe eher schwach sei. Bei christlichen Eltern, die mit ihren Kindern regelmäßig an kirchlichen Veranstaltungen teilnehmen, sind demnach alle Erziehungsstile vertreten1Autonomie als erstrebenswertes Ziel wird von religiösen Eltern positiver bewertet als von Eltern ohne religiösen Bezug.

Wenn alle Erziehungsstile bei christlichen Eltern vertreten sind, dann auch permissive Erziehung einerseits und rigidere Erziehung andererseits. Das hat im Einzelfall mehr mit individuellen Faktoren der Eltern zu tun, als mir ihrem Glauben. Allerdings wird die eigene Erziehungspraxis möglicherweise mit dem Glauben begründet, um sie für sich zu rechtfertigen. Unbewusst spielt sicher die Persönlichkeitsstruktur Erziehender eine wesentliche Rolle.

Nach außen ergibt sich das Problem selektiver Wahrnehmung. Sind christliche Familien einmal in einer Schublade eingeordnet streng und rigide zu sein, kommen sie nicht mehr raus. Hinweise werden von Kritikern als Beleg gegen christliche Erziehung interpretiert, während positive Aspekte übersehen werden. Klar ist, dass Nonnen und Diakonissen vor vierzig Jahren anders erzogen haben als Erzieher es heute tun. Manche erzogen strenger als andere. Bei Eltern war das in dieser Zeit nicht anders. Und doch wird hier mehr differenziert, während christliche Eltern und Erzieher als unbekannte Fremdgruppe weitgehend homogen wahrgenommen werden. Die Vielfalt christlicher Erziehung, die nie unbeeinflusst von Entwicklungen der eigenen Zeit war, wird von außen nicht wahrgenommen.

  1. Vermeer P. (2011) The impact of parental religiosity on parenting goals and parenting style: a Dutch perspective, Journal of Beliefs & Values, 32:1, 69-84, DOI: 10.1080/13617672.2011.54 ↩︎