Es gibt viele Erziehungsziele – und viele sind wichtig
Natürlich ist es sinnvoll, Kinder zu „richtigem“ Verhalten anzuhalten, ihnen Werte mitzugeben oder ihnen zu helfen, ihre Emotionen zu bewältigen und Wege zu finden, wie sie mit Wut, Zorn, Neid oder Frustration umgehen können, ohne sie an anderen auszulassen. Es gibt viele Erziehungsziele christlicher Eltern die wichtig sind.
Ich fange einmal mit Zielen an, die vielen christlichen Eltern wichtig sind, aber nur sehr indirekt mit ihrem Glauben zu tun haben. Höflichkeit, gutes Benehmen und sozial akzeptables Verhalten sind den meisten Eltern wichtig, nicht nur Christen. Für die Mitmenschen sind Kinder erträglicher, wenn sie warten bis sie an der Reihe sind, andere im Blick haben und ihren Egoismus nicht ausleben. Darum halte ich meine Kinder natürlich dazu anhalten, höflich „Danke“ und „Bitte“ zu sagen.
Das hat wenig mit meinem Glauben zu tun, meine nicht-christlichen Freunde tun das ebenfalls. Höflichkeit ist übrigens ein traditionelles Erziehungsziel, das in den 1970ern aus der Mode gekommen war und seit den 1990er Jahren glücklicherweise – zusammen mit anderen traditionellen Werten – wieder an Popularität gewonnen hat. Wer mehr zum Wertewandel und der Studienlage wissen will, kann das entsprechende Kapitel in meinem Pädagogik-Lehrbuch nachlesen.
Ehrlich gesagt, sind wir als Eltern nicht sonderlich erfolgreich gewesen, das Ziel der „guten Manieren“ zu erreichen. Der Wille war da. Erfolgreicher waren wir, sie auf die Leistungsanforderungen der Gesellschaft vorzubereiten. Spielerisch haben wir täglich die Gummibärchen gezählt, durch die Anzahl der Kinder geteilt, zusammengerechnet oder überlegt, wie viele am Ende übrig blieben. In der Schule hatten unsere Kinder wenig Probleme. Leistung gilt als zeitloses Erziehungsziel. Hier hat sich in den letzten Jahrzehnten wenig verändert. Das Ziel Leistung zu bringen, hatten schon unsere Eltern und vermutlich werden unsere Kinder es an unsere Enkel irgendwann weitergeben – zumindest deuten alle soziologischen Untersuchungen darauf hin.
Was sich hingegen geändert hat ist, dass wir heute unzählige Entscheidungen treffen können und müssen. Als Kinder konnten wir weder den Telefon-, noch den Stromanbieter auswählen. In unserer westlichen Gesellschaft werden wir überhäuft von der Anforderungen, uns für und gegen alles entscheiden zu müssen und ständig belanglose Aspekte hin- und her walzen zu müssen. Tun wir es nicht, verlieren wir am Ende, zahlen zu viel, vergeuden Möglichkeiten und unser Leben. Nicht umsonst ist Partizipation ein modernes Erziehungsziel. In der westlichen Gesellschaft sind wir darauf getrimmt, dass wir unser Leben gestalten können und müssen. Darum ist es mir wichtig, auch meine Kinder früh in Entscheidungsprozesse einzubeziehen und gleichzeitig nicht damit zu überfordern. Das Ziel hat mehr mit veränderten gesellschaftlichen Bedingungen zu tun, als mit meinem Glauben – auch wenn ich immer wieder betone, dass jeder Mensch Gott gegenüber für seine Entscheidungen persönlich verantwortlich ist.
Entscheidung für das wichtigste Ziel überhaupt
Und nun komme ich zu dem, worum es wirklich geht: Glaube an Jesus Christus. Da habe ich mich oft gefragt, wieso ich auf diesem Gebiet so versage. Warum gebe ich meinen Kindern so wenig von dem mit, was mir so wichtig ist? Und wie funktioniert das alles? Es wäre doch traurig, wenn meine Kinder am Ende alle Höflichkeitsformen gelernt haben, einen tollen Job finden, aber mit Jesus Christus wenig am Hut haben. Gleichzeitig möchte ich sie in den Glauben nicht hineinzwingen – und kann es auch gar nicht.
Und doch brauchen wir als Eltern diese Entscheidung. Es reicht nicht, den Glauben einfach mal ein bisschen vorzuleben und zu schauen, was die Kinder so mitnehmen. Ich will sie mitnehmen, den Glauben kennenzulernen. Studien zeigen, dass der Glaube der Eltern alleine kein guter Prädikator ist, ob Kinder diesen Glauben annehmen. Es braucht ihre bewusste Entscheidung, diesen Glauben weiterzugeben. Mehr zur wissenschaftlichen Studienlage gibt es hier.
Ich motiviere, Veranstaltungen zu besuchen, in denen Jesus Christus im Mittelpunkt steht. Gerne verknüpfe ich das mit einem sporadischen Abstecher bei McDonald’s auf dem Weg, was fast schon zu einem Ritual nach der Pfadfinder-Gruppe – es muss ja nicht immer ein ganzes Menü sein. Zu viel „Belohnung“ senkt die intrinsische Motivation, also das Interesse an der Sache. Es ist also ein schmaler Grad zu motivieren, aber das Eigeninteresse nicht zu überlagern. Ich lese einige Verse oder Kapitel am Abend vor, auch wenn es da dezenten Widerstand gibt. Mit dem Kopf durch die Wand wird es nicht gehen.
Umgang mit diesem Ziel
Gewöhnung funktioniert, solange die Kinder keine Alternativen erlebt haben. Wer in einer Gemeinde groß wird und hier mit seinen Kindern regelmäßig alle Programme mitmacht, wird sie lange mitnehmen können. Wer sie isoliert von der nichtchristlichen Welt in einer christlichen Blase aufwachsen lässt, ist darin noch erfolgreicher. Gewöhnung ist mir wichtig – an den Gemeindebesuch, an Bibellesen und Gebet. Eine Abschirmung gegenüber der Welt finde ich eher bedenklich.
Schön hätte ich es gefunden, deutlich vor der Teenie-Phase in einer Gemeinde „anzukommen“. Da waren wir zwar selbst in einer Gemeinde angekommen, aber für unsere Kinder gab es keine Perspektive, keine Gleichaltrigen. Und selbst mit den 11-jährigen war es holprig, während es noch mit den nur einen Hauch jüngeren Kindern kein Problem war. Andere mögen da noch nicht in der Vorpubertät angekommen sein (wir haben vier Kinder und wissen, wie unterschiedlich das sein kann).
Nun ist der Druck vieler Christen aus unserer „neuen“ Gemeinde da. Sie schwärmen, wie toll es unsere Kinder doch in dieser Umgebung hätten. Wenn irgendetwas nicht klappt, liegt es daran, dass wir nicht entschlossen genug vorangehen. Und ganz sicher werden sich die Kinder auf dem Weg des Glaubens entwickeln. Ein großes Machbarkeitsdenken schwingt mit. Als ob alles glatt läuft, wenn die Eltern den Weg doch nur gehorsam mit Gott gehen. Zumindest bestehen dann die „besten“ Chancen und auf jeden Fall werden wir einen Teil unserer Kinder mitnehmen, wurde uns versichert. Leider können wir uns zumindest bisher nicht so auf die Schultern klopfen wie die, bei denen es geklappt hat.
Ich bin hin- und hergerissen. Dieses Machbarkeitsdenken erinnert mich stark an ein Wohlstandsevangelium und eine gesetzliche Wenn-Dann-Struktur. Die Eltern legen die Grundlagen, den Rest macht dann Gott. Bezogen auf die Errettung finde ich das mehr als schwierig. Andererseits habe ich vor Gott ja doch eine Verantwortung so zu Handeln, als ob alles von mir abhinge. Am Ende bleibt nur, auf Gott zu vertrauen und auf ihn zu warten.
Was wieder klappt, ist der wöchentliche Gottesdienstbesuch und eine Gruppe, die jedes Kind unter der Woche regelmäßig besucht. Da hatte die Corona-Pause einige durcheinandergebracht. Nun bleiben wir dran. Aufzugeben wäre manchmal einfacher gewesen. Wer keinen Gemeindewechsel erlebt hat, Kinder hatte die entwicklungsmäßig noch nicht so weit waren oder einfach andere Kinder hat, kann die Probleme nicht nachvollziehen. Alles ist anders in der neuen Gemeinde. Wenig ist vertraut.
Und doch merken wir, dass es unseren Kindern auch guttut, Teil dieser Gruppen zu sein, in der es nicht auf Leistung ankommt, wie in einem Sportverein. Wenn sie die Angebote dieser Gemeinde nicht nutzen, werden wir uns mit ihnen auf den Weg machen und andere christliche Gruppen erkunden – egal ob sie auf den ersten Blick nicht meiner christlichen Prägung entsprechen, solange Jesus Christus im Mittelpunkt steht, in der Bibel geforscht und gebetet wird – oder er zumindest einen festen Platz hat. Der Fun-Faktor reicht jedenfalls nicht. Und die perfekte Gemeinschaft, in der sich alle wohlfühlen und ein Herz und eine Seele sind, wird es auch unter Christen nicht geben – da sind wir realistisch. Und doch erleben wir hier doch einen Hauch des Reiches Gottes.
Ob sich unsere Kinder entscheiden, ihren Weg mit Jesus zu gehen, liegt in ihrer eigenen Hand. Dazu kann und werde ich sie nicht zwingen. Entscheiden können sie sich letztlich auch erst dann, wenn sie Alternativen kennen. Vor allem aber sind sie auf Gottes Gnade angewiesen. Er zieht – die „Entscheidung“ ist eher ein sichtbarer Ausdruck seines göttlichen Handelns als das Ergebnis menschlichen Abwägens. Wenn ein Mensch diese Entscheidung getroffen hat, entwickeln sich Früchte. Geduld, Frieden, Freude oder Selbstbeherrschung sind das Ergebnis des Wirkens des Heiligen Geistes und können nicht von außen aufgezwungen werden.
Wichtiger als alles andere ist das Herz – und damit meine ich die Herzensbeziehung mit dem großen Schöpfergott. Nicht Höflichkeit, Leistung oder Anpassung. Das Herz verändern kann aber nur Gott selbst. Ich überfordere mich als Vater oder Mutter, wenn ich diese Früchte irgendwie aus den Kindern herausbringen möchte. Natürlich kann ich am Weihnachtsbaum wunderschöne glänzende Früchte anbringen, die jeder bewundert. Und doch sind sie tot. Genauso kann ich Kindern Manieren und gutes Benehmen antrainieren. Die Liebe Gottes wird durch sie aber nur dann durch sie hindurchfließen, wenn sie selbst mit dem Weinstock verbunden sind.