Beobachtungen: Pädagogische Aspekte des „Bildes vom Kind“ für Christen

Die menschliche Natur des von Gott geschaffenen Menschen ist für Erziehung wesentlich. Genau diese Natur können wir beobachten und diese Beobachtungen werden in der pädagogischen Anthropologie diskutiert.

Im Folgenden sind einige der wichtigsten anthropologischen Aspekte aufgeführt, die empirisch beobachtbar in der Pädagogik diskutiert und allgemein anerkannt sind. Nicht nur christlichen Pädagogen geht es darum zu verstehen, warum Menschen erziehbar sind (Erziehbarkeit) und warum sie Erziehung benötigen (Erziehungsnotwendigkeit). Diese Frage ist letztlich die Legitimation jeglicher Pädagogik.

Es gibt keine universelle Einigkeit in dieser Frage, da verschiedene Ansätze unterschiedliche Vorstellungen von Kindern haben. Und doch stützt sich vieles auf empirische Beobachtungen, die auch für christliche Eltern, Erzieher und pädagogische Fachleute von Interesse sind. Im Folgenden sind einige der wichtigsten anthropologischen Aspekte aufgeführt, die in der Pädagogik diskutiert und allgemein anerkannt sind.

#1 Der Mensch ist ein soziales Wesen

Von Anfang an sehnen sich Kinder nach Beziehungen und sind auf Bindung angewiesen. Hautkontakt beruhigt kleine Säuglinge und größere Kinder zeigen stolz, was sie geschaffen haben. Ohne soziale Kontakte verkümmert ein Kind. Sie brauchen Eltern, die hinter ihnen stehen.

Der Mensch ist von Natur aus auf die Fürsorge von Bezugspersonen angewiesen. Dies wird immer wieder durch faszinierende Berichte über verwilderte Kinder verdeutlicht, die trotz historischer Kontroversen die verheerenden Folgen von Vernachlässigung aufzeigen. René Spitz führte empirische Untersuchungen an Heimkindern durch. Sie wurden in einem Säuglingsheim von professionellen Pflegerinnen physisch gut versorgt. Dem gegenüber standen Kinder, die von ihren straffälligen und inhaftierten Müttern im Gefängnis aufgezogen wurden, aber viel Zeit für sie hatten. Sie hatten von medizinischen Aspekten weniger Ahnung als die professionell ausgebildeten Krankenschwestern, die die Heimkinder aufgezogen. Das Ergebnis: Die professionell versorgten Kinder ohne Bezugsperson wiesen massive Entwicklungsstörungen, Gewichtsverlust, Lethargie und eine erhöhte Sterblichkeit auf. Die weniger professionell betreuten Kinder, die eine Bindungsperson verfügbar hatten, hatten diese Probleme nicht. John Bowlby betont, dass Bindung von entscheidender Bedeutung für Lernprozesse ist. Aus einer christlichen Perspektive betrachtet, hat Gott den Menschen als soziales Wesen geschaffen, fähig zur Bindung und Kommunikation. Der Mensch wird in eine soziale Gemeinschaft hineingeboren und entspringt einer intimen Beziehung. Ohne Liebe und zwischenmenschliche Beziehungen verkümmert das Kind.

Sowohl im säkularen, als auch im christlichen Bereich ist bindungsorientierte Erziehung heute populär geworden. Die Bindungstheorie ist folglich auch in christlichen Erziehungsratgebern beliebt. Marina Hoffmann, Junita Horch und Julia Wanitscheck legen in ihrem christlichen Erziehungsratgeber „InBindung wachsen“ besonders Fokus darauf und entfalten die Bedeutung der Bindung aus der Bibel. Tobias Künkler, Tobas Faix und Damaris Müller behandeln sie neben vielen weiteren Themen in ihrem Buch „Frei erziehen – Halt geben„. Biblische und christliche Erziehung lässt sich gut mit dem bindungsorientierten Ansatz verbinden, denn auch Gott gibt seinen Kindern eine Sicherheit, die sie frei macht. Und doch sollten Christen hier aufpassen, den Gedanken nur einseitig aus sozialwissenschaftlicher Perspektive zu betrachten.

#2 Wenige Instinkte und hohe Lernfähigkeit

Biologen wie Adolf Portman und Arnold Gehren haben darauf hingewiesen, dass der Mensch im Vergleich zu Säugetieren wenige angeborene Instinkte besitzt und vergleichsweise kurz schwanger ist. Diese Kürze der Schwangerschaft führt dazu, dass der Mensch bei der Geburt weniger entwickelte Organe hat als Tiere und weniger instinktgesteuert, aber hochgradig lernfähig ist. Er wird nicht mit vorprogrammierten Instinkten geboren, die es ihm ermöglichen könnten, eigenständig zurechtzukommen. Der Mensch zeichnet sich auch nicht durch übermäßig ausgeprägte Organe, Kraft oder Schnelligkeit aus, dennoch besitzt er eine erstaunliche Anpassungsfähigkeit, die ihn von Tieren unterscheidet. Deutlich wird dies daran, dass Menschen in unterschiedlichen Kulturen und Epochen sehr variierende Verhaltensweisen entwickelt haben. Diese Erkenntnis wird durch die hohe Plastizität des Gehirns in den ersten Lebensjahren unterstützt, was bedeutet, dass entscheidende Lernprozesse in dieser Zeit stattfinden.

#3 Reflexionsfähiges, vernunftbegabtes und kulturelles Wesen

Im Zeitalter der Aufklärung wurde die Vernunft als grundlegendes Merkmal des Menschen betont. Und tatsächlich: Gott hat den Menschen mit der Fähigkeit des rationalen Denkens ausgestattet ist. Im Gegensatz zu einem Hund, der auf Aggression mit Aggression reagiert, zeigen Menschen die Fähigkeit, in Konfliktsituationen innezuhalten, nachzudenken und alternative Handlungsmöglichkeiten zu erwägen. Doch die Entwicklung dieser Vernunft erfordert den Austausch und die Interaktion mit anderen Menschen. In diesem Kontext wird auch die Bedeutung der Sprache deutlich. Menschen sind in der Lage sind, Konsequenzen abzuwägen, langfristig zu planen und Erfahrungen mithilfe von Sprache auszutauschen, abzustimmen und weiterzugeben. Dadurch sind sie auch fähig, Impulse zu kontrollieren und angemessen zu reagieren, anstatt ihren Gefühlen nur freien Lauf zu lassen.

Kein denkender und reflektierter Mensch, ganz gleich, welcher Glaubensrichtung er angehört, wird diese grundlegenden menschlichen Fähigkeiten vernachlässigen. Die Tatsache, dass Kinder soziale Wesen sind, wissen Menschen in allen Kulturen. Und sie nehmen sich dieses Wissen zu Herzen. Ein hervorstechendes Beispiel ist die universelle Mutterliebe. Eltern auf der ganzen Welt unterstützen ihre Kinder nach bestem Wissen und Gewissen, bieten ihnen Halt und Gemeinschaft. Die göttliche Gnade zeigt sich nicht nur bei Christen, sondern er wirkt auch in Nicht-Christen und gibt Menschen anderen Glaubens bei allem Egoismus des gefallenen Menschen eine oft vorbildliche und opferbereite Liebe für ihre Kinder.