Ferrer, Hillary Morgan: Bärenstark

Ausgangssituation und Zielsetzung

Die Autorinnen stellen zunächst die Aufgabe von Müttern dar, ihre Kinder „von Geburt an zu trainieren, zu modellieren und zu erziehen, bis sie eines Tages (hoffentlich) zu funktionierenden Mitgliedern der Gesellschaft heranwachsen (S. 25). Weiterhin stellen sie ihren Glauben als etwas dar, das nicht auf Gefühlen gründet, sondern auf der Wahrheit von Jesu Leben, Tod und Auferstehung. Gott selbst hat „in der Schöpfung“ seinen unverwechselbaren Fingerabdruck hinterlassen, der für eine der Autorinnen Leuchtturm inmitten eines stürmischen Meeres aus Gefühlen geworden ist (S. 29). Genau das wollen sie ihren Kindern weitergeben.

Im weiteren Verlauf identifizieren sie ein Problem vieler Jugendlichen, die ihren Glauben oder zumindest ihren Gemeindebezug zum Wechsel zwischen Schule und Studium ablegen. Davon kommt in etwa die Hälfte auch später nicht in eine Gemeinde zurück (S. 33). An diesem Übergang wird ein Prozess der Loslösung sichtbar, der in vielen Fällen bereits vorher begonnen hatte (S. 34). Nicht für alle bedeutet die Distanz von „institutionsgebundener Religion“ eine Abwendung von der Autorität der Bibel – vielfach stellen sie sich aber ein Glaubens-Buffet nach ihrem jeweiligen Geschmack zusammen (S. 35). Die Darstellung wird mit zahlreichen Studien belegt und mit dem Begriff „Youth Exodus“ bezeichnet.

Zu den Mythen in christlichen Kreisen gehört, dass Kinder zwar „alle“ weggehen, dann aber wiederkommen. Zum einen stimmt es nicht, dass alle Kinder sich in einer rebellischen Phase zum Glauben distanzieren, zum anderen belegen Statistiken, dass nur die Hälfte wieder zurückkommt. Es handelt sich also nicht um einen Bumerang-, sondern um einen Wegdrift-Effekt (S. 38f.). Auch der frühe Besuch von christlichen Kinder- und Jugendgruppen bietet dafür nur sehr begrenzten Schutz (S. 40).

Um diesen Prozess zu verhindern, setzen die Autorinnen darauf, Kinder schon in jungen Jahren in Weltanschauungen, Theologie und Apologetik zu unterrichten (S. 42). In mindestens einer Gemeinde habe der Youth Exodus durch die Durchführung von Apologetik- und Weltanschauungskursen für Kinder von RCCP (Ratio Chrisi College Prep) erheblich verringert werden können (S. 43).

Urteilsfähigkeit und Differenzierung

Eine wesentliche Aufgabe einer „Bärenmama“, die ihr Kind beschützt, sehen die Autorinnen darin, dass Mütter ihr Urteilsvermögen stärken. In Gemeinden bestehe die Tendenz entweder negative Dinge gar nicht zu benennen, oder ausschließlich auf diese hinzuweisen (S. 60). Stattdessen ginge es um ein Differenzieren. Vorstellungen und Ansichten sollten auf ihren Wahrheitsgehalt hin untersucht werden (S. 61). Gleichzeitig sollte es „nie die Hauptbotschaft“ an die Menschen sein, dass Christen bestimmte Bereiche ihrer Kultur ablehnen (ebd.). Wie Kinder aus dem Essen die unliebsame Gemüsesorte aussortieren, geht es darum das Gute und das Schlechte zu identifizieren (S. 62).

Während junge Kinder möglicherweise durch kindersichere Einstellungen überwacht werden können, reicht eine solche Bewahrung auf Dauer nicht aus. Auch eine pauschale Unterteilung in „sicher/gefährlich“ oder „christlich/nicht christlich“ hilft nicht, da in unserer Welt eben Gutes und Böses vermischt vorkommt (S. 63). Die Gefahr einer solchen Vereinfachung besteht darin, dass Kinder irgendwann merken, dass in dem von den Eltern Verurteilten eben doch auch etwas Gutes zu finden ist, was dann wiederum zu einem Glaubwürdigkeitsverlust führt (64). Irgendwann kommt der erhellende Moment, in dem die Kinder eben doch „Gutes oder Wahres an einer Sache finden werden“, von der ihnen gesagt wurde, dass sie in die Kategorie „schlecht“ gehöre (S. 67).

Kauen-und-Ausspucken

Den Kern des Buches stellt die Kauen-und-Ausspucken-Methode dar, die von den Autorinnen mit dem Essen eines Steaks verglichen wird. Immer wieder gibt es darin Stücke, die nicht zerkaut werden können. Diese sogenannten „grizzles“ werden dann diskret in eine Serviette gespuckt, um dann weiterzuessen (S. 64). Ein einfaches „Kategorisieren“ führt dazu, dass Kindern irrtümlich den Eindruck bekommen, alles sei gut, solange sie nur richtig katogorisieren. Stattdessen kleiden sich „die wirksamsten Lügen in Halbwahrheiten“ (S. 69).

Die Kauen-und-Ausspucken-Methode gliedert sich in vier Schritte:

  • Identifizieren der Botschaft

Alle Medien (Filme, Bücher etc.) haben eine Botschaft. Der erste Schritt besteht darin, die dargestellten Botschaften zu identifizieren, die Werte zu bestimmen, die hochgehalten werden und die Weltanschauung dahinter zu beleuchten (S. 70). Dabei hilft es darauf zu achten, welche Charaktere positiv und wie die Bösewichte dargestellt werden. Für eine solche Analyse kann beispielsweise die Heimfahrt von einem Kino genutzt werden (S. 71).

  • Beurteilungen diskutieren

Für das Urteil ist es notwendig, den Inhalt akkurat darzustellen – „und zwar so, dass sie [unsere Gegner] dem zustimmen würden“ (S. 73). Weiterhin werden sowohl gute Aspekte identifiziert, als auch Schlechte. Das können Gedanken, Werte oder Beweggründe sein (ebd.).

  • Argumente für einen gesünderen Ansatz

Dabei geht es darum, die Gründe darzulegen, warum das Gute bejaht wird (S. 75). Insbesondere im Gespräch mit Nichtchristen reicht der Verweis auf die Bibel nicht (S. 76).

  • Vertiefender Austausch, Jüngerschaft und Gebet

Schließlich geht es darum, das Gute zu leben und zu vertiefen. Es reicht nicht aus, eine biblische Weltanschauung schlüssig zu begründen oder von der Wahrheit zu reden. Es geht darum, dass die Erkenntnis gelebt wird (S. 77).

Sprachraub

Vor dem zweiten Teil erfolgt ein Exkurs über Wörter, die „gezielt ihrer ursprünglichen Bedeutung beraubt, neu definiert und dann als Propagandamittel benutzt werden“ (S. 80). Problematisch daran ist, dass solche Begriffe Diskussionen zum Stillstand bringen. Emotional aufgeheizte Wörter wollen emotionale Reaktionen auslösen. Wer im „Krieg“ ist, hat keine Zeit nachzudenken (S. 85). Menschen, auf die Begriffe wie „Missbrauch“, „Hass“ oder „intolerant“ angewendet werden, stehen in der falschen Ecke. Niemand möchte mit ihnen zu tun haben. Somit hat jemand, der diese Wörter verändert „die Zügel des Gesprächs in der Hand“ (S. 83). Helfen kann es da nachzufragen: „Was meinst du damit?“ (S. 83).

Beispiele von Begriffen, die eher emotionale Reaktionen auslösen als eine sachliche Auseinandersetzung, sind beispielsweise Krieg, Fanatismus, Intoleranz oder Gewalt. Erst nach einer heftigen emotionalen Reaktion wird dann gefragt: „Was ist jetzt eigentlich passiert?“ (S. 85). Die Autorinnen geben einige Beispiele dieser „gestohlenen“ Wörter, die ihrer ursprünglichen Bedeutung beraubt und umgedeutet wurden:

Liebe bedeutet ursprünglich, das Gute oder Wohl des anderen im Sinn haben. Heute wird alles, was „jemandem unbehaglich ist“ als „lieblos“ gebrandmarkt. Wahrheit wird heute in dem Sinn relativiert, dass es nicht mehr „die“ Wahrheit gibt, sondern „meine“, „deine“ oder „seine“ Wahrheit (S. 90). Toleranz bedeutete ursprünglich „dulden, zulassen, gelten lassen“, auch wenn es nicht der eigenen Vorstellung entspricht. Per Definition setzte Toleranz voraus, dass jemand einer Sache nicht zustimmt oder gutheißt, aber damit umgehen konnte, dass andere Ansichten vertreten werden. Heute wurde der Begriff umgedeutet, „sodass man keine festen Überzeugungen mehr von irgendetwas haben darf“, ohne intolerant zu sein (S. 91). Auch wird heute jeder als „fanatisch“ abgestempelt, der überhaupt an einer Überzeugung festhält. Wer nicht an der gängigen Meinung festhalte, „dass alle Ansichten gleichermaßen legitim seien“, wird als Fanatiker bezeichnet (S. 94).  

Kulturphilosophische Ansätze

Im zweiten Teil ihres Buches befassen sich die Autorinnen mit kulturphilosophischen Ansätzen, die als „Lügen“ im alltäglichen Leben oft mitschwingen.

Selbsthilfewahn

Der Grundgedanke, alles „in unserer Macht“ stehende für ein besseres Leben zu tun, sei erst einmal gut (S. 103). Letzten Endes kann aber das grundlegend kaputte nur von Gott repariert werden. Selbsthilfe ist also nicht per se schlecht, aber sie hat Grenzen. (S. 104). Insbesondere gehen die Autorinnen auf Ansätze ein, die suggerieren, die Macht der Gedanken sei ein Allheilmittel. Dass ein Mensch sich Glück und Reichtum wünscht ist zunächst einmal normal (S. 113). Der Anspruch an sein Leben nach dem Motto „Ich verdiene…“ wird kritisch gesehen, da dabei Gottes Geschenke mit „Rechten“ verwechselt werden (S. 111, 114). Im Selbsthilfewahn wird der Mensch sowohl als Quelle, als auch als Lösung aller Probleme gesehen. Die christliche Botschaft lautet: Gott ist unsere Quelle und hilft denen, die wissen, dass sie hilflos sind (S. 116f.).

Materialer Naturalismus

Der Materialismus ist eine philosophische Position, die behauptet, dass alles, was existiert, auf natürliche Phänomene zurückzuführen ist. Er betont die Rolle der Materie und von Naturgesetzen zur Erklärung der Welt. Die Autorinnen sehen den Widerspruch dieses Denkens mit philosophischen Aussagen, die ihrerseits im metaphysischen Bereich liegen (S. 125). Christen werde zwar zum Vorwurf gemacht, nicht überprüfbare metaphysische Annahmen zu machen, gleichzeitig liegen die philosophischen Annahmen des Ansatzes ebenfalls in diesem Bereich. Die Autorinnen stellen dar, dass sowohl Wissenschaft als auch Christentum mit ihren wissenschaftstheoretischen Grundannahmen sowohl auf Fakten, als auch auf Glauben basiert (S. 141). Glaube und Wissenschaft sind keine Gegensätze, sondern Freunde. Sie gehören zusammen.

Postmodernismus

Der Postmodernismus ist eine kulturelle und philosophische Bewegung, die die Idee der Objektivität und Universalität in Frage stellt. Er betont die Fragmentierung von Wahrheit und die Vielfalt der Perspektiven. Die Autorinnen postulieren, dass in ihrer Kindheit die Annahme von Moral und Wahrheit existiert habe, die „gewusst“ werden konnte (S. 172). Der Postmodernismus traut sich nicht, solche Grundlagen anzunehmen. „Je gefestigter oder fundamentaler ein Glaube ist, desto skeptischer werden“ die Postmodernisten (S. 173).

Während Modernisten noch überzeugt waren, dass durch Menschenverstand, Logik und Vernunft ein „objektiver Wahrheitsstandard, Moral und Bedeutung“ entstehen könne, gibt der Postmodernismus diese Ansicht auf (S. 175). Dabei erkennt er den Fehler des Modernismus: Wie konnte er annehmen, dass sich Menschen „auf etwas so Existenzielles wie den Sinn des Lebens einigen“ können, wenn sie sich nicht einmal auf ein Abendessen einigen können (ebd.). Das Problem besteht nun darin, dass eine „objektive“ Wahrheit einfach aufgegeben werde. Stattdessen gibt es „mein“ und „dein“ Fundament und „deine“ Wahrheit, nicht mehr „die“ Wahrheit (S. 179).

Universitäten in der Vormoderne wurden gegründet, um objektive Wahrheiten zu erforschen und zu lehren. Heute wird in Schulen häufig postuliert, dass „objektive Wahrheiten“ Machtspiele seien, die dem Machterhalt dienten (S. 180). Das Bildungssystem habe sich heute in Modernismus im Bereich der Wissenschaft und Wirtschaft, sowie Postmodernismus in den Geisteswissenschaften gespalten (ebd.). Positiv am Postmodernismus ist, dass individuelle Wahrnehmungen und Perspektiven gewürdigt werden. Weiterhin werden die Grenzen des Verstandes anerkannt. Auch Christen wurde hierdurch die Vielfalt der von Gott geschaffenen Menschen vor Augen geführt, was unter anderem zu vielfältigen Anbetungsstilen geführt habe (S. 183). Kritisch ist es, wenn davon ausgegangen wird, dass die menschliche Wahrnehmung tatsächlich die Wirklichkeit bestimme, Wahrheitsbehauptungen als Machtspiele abqualifiziert werden und der Wahrheitsbegriff insgesamt als subjektiv abgelehnt wird (S. 185f.).

Zu den weiteren im Buch vorgestellten kulturphilosophischen Ansätzen gehören beispielsweise der Skeptizismus, Relativismus, Pluralismus oder das progressive Christentum.

Fazit

Der Schreibstil der Autorinnen wirkt ansprechend, locker-informell und doch informiert. Der erste Teil des Buches ist auch inhaltlich sehr spannend. Die Relevanz des Kauen-und-Spucken-Ansatzes, der hier entwickelt wird, ist auf viele Bereiche anwendbar. Die Notwendigkeit des Differenzierens ist für Christen besonders wichtig, da sie oft dem Vorurteil ausgesetzt sind, dies nicht zu tun. Bei dem Konsum von Medien können beispielsweise auch Sinn-, Lebens- oder Beziehungsvorstellungen analysiert und hinterfragt werden. Darum verdient insbesondere der Ansatz der vier Schritte Beachtung und kann weiter vertieft werden.

Die kulturphilosophischen Ausführungen des zweiten Teils sind interessant, aber teilweise wenig prägnant. Sie könnten also kürzer dargestellt werden, ohne dass der Inhalt reduziert werden müsste. Die Anwendung der vier Schritte kann dabei nicht immer überzeugen.

Die implizierte Hoffnung durch diese Auseinandersetzung den Youth Exodus weitgehend verhindern zu können, scheint überzogen. Die Einflussmöglichkeiten durch Erziehung werden dabei überschätzt, die Rolle des Kindes und die Souveränität Gottes vernachlässigt. Und ist die Beschäftigung mit Kulturphilosophie (bzw. christlicher Apologetik) wirklich der heilsbringende Durchbruch? Dennoch ist diese Auseinandersetzung grade in unserer Zeit für Kinder und Jugendliche wichtig, um ein gesundes und tragfähiges Glaubensfundament zu entwickeln. Ihre Kinder darin zu unterstützen ist tatsächlich eine der Aufgaben von christlichen Eltern und in christlichen Gemeinden eher unterbelichtet.

Manches ist kulturell in den USA auch anders (z.B. der vorgestellte „Selbsthilfewahn“), so dass hierzulande manche Entwicklungen schwächer ausgeprägt sind. Dennoch finden sich alle angesprochenen Tendenzen auch im europäischen Denken wieder. Es wird also ein wichtiger Impuls gesetzt, Kinder und Jugendliche auch in diesem Bereich auf Gedanken vorzubereiten, mit denen sie konfrontiert werden und ihnen wichtige Argumente in die Hand zu geben, mit diesen Herausforderungen umzugehen.

Leser sollten sich unbedingt auf den ersten Teil konzentrieren, aber auch aus dem zweiten Teil exemplarisch einige Kapitel auswählen. Der zweite Teil sollte nicht ausgelassen werden. Die Kapitel sind zwar logisch geordnet, bauen aber nicht unbedingt aufeinander auf, so dass es dem Ertrag keinen Abbruch tut, wenn hier nicht alles systematisch gelesen wird.