Martin Lloyd-Jones beginnt mit der Überlegung, dass das „Christenleben ein völlig neues Leben“ sei, das sich deutlich vom natürlichen Leben unterscheidet (S. 18). Er verweist auf biblische Passagen wie Römer 1,29-31 und 2. Timotheus 3,1-4, in denen Entwicklungen in Zeiten des moralischen Verfalls beschrieben werden, darunter Ungerechtigkeit, Habsucht und Lieblosigkeit. Auffällig für Lloyd-Jones ist, dass in diesen Aufzählungen auch „Ungehorsam von Kindern“ erwähnt wird. Das unterstreiche die Bedeutung des Gehorsams.
Genau das ist der Kerngedanke des Buches: Kinder sollen ihren Eltern gehorsam sein. Um den Punkt zu untermauern geht Lloyd-Jones weiter auf eine Begegnung der Pharisäer mit Jesus ein, bei der die Pharisäer die Versorgung ihrer Eltern mit frommen Argumenten unterlassen. Jesus hält es hingegen wir zentral, dass die Eltern geehrt werden. Den Pharisäern wirft Jesus vor, ihre Eltern nicht zu ehren (Matthäus 15,5). Basierend darauf hebt Lloyd-Jones die Wichtigkeit noch einmal hervor, Eltern zu respektieren und in einem gesunden Maß Ehrfurcht zu empfinden.
Er stellt fest, dass sich gläubige Kinder von gottlosen Kindern durch ihren Respekt und Gehorsam gegenüber ihren Eltern unterscheiden sollten. Der Kontext der biblischen Aussagen impliziere, dass sich gläubige Kinder von gottlosen Kindern damals unterschieden und auch heute noch Respekt vor ihren Eltern haben sollten. Bei gottlosen Kindern sei hingegen eine maßlose Respektlosigkeit – damals und heute – gegeben.
In seinem Buch gibt der Autor weiterhin Argumente, warum Kinder ihren Eltern gehorsam sein sollten, basierend auf verschiedenen natürlichen und göttlichen Prinzipien, wie z.B.:
1. Natürlichkeit und Schöpfungsordnung: Der Gehorsam gegenüber den Eltern ist ein grundlegendes Prinzip der Schöpfungsordnung. In der Tierwelt sieht man, wie Mütter sich um ihren Nachwuchs kümmern, ihn lehren und ihm beibringen, in der Natur zu überleben. Ebenso ist es für menschliche Kinder natürlich und richtig, ihren Eltern zu gehorchen. Das Prinzip, dass Eltern ihre Kinder anleiten und versorgen, ist tief in der Natur verankert. Gott hat Eltern und Kinder geschaffen, und diese Beziehung funktioniert nach seinem Plan optimal (S. 31ff). Es wäre unnatürlich, wenn Kinder ihren Eltern nicht gehorchen würden.
2. Gottes Gebot mit Verheißung: Gehorsam gegenüber den Eltern ist auch ein göttliches Gebot mit einer besonderen Verheißung. Die Bibel lehrt, dass Missachtung dieses Gebots zum Zusammenbruch der Gesellschaft führt. Wenn das Familienleben zerbricht, hat das weitreichende Auswirkungen auf alle Bereiche des Lebens (S. 38). Die Familie hat etwas Heiliges an sich und spiegelt die Beziehung zwischen Gott und seinen Kindern wider (S. 40). Das Gebot zur Ehrerbietung der Eltern ist unabhängig vom Charakter der Eltern. Selbst wenn die Eltern nicht gläubig sind, kann das vorbildliche Verhalten ihrer Kinder ihre Herzen bewegen und zu positiver Veränderung führen (S. 64).
3. Vorbild Christi: Jesus Christus selbst dient als das ultimative Vorbild für kindlichen Gehorsam. Obwohl er das Bewusstsein hatte, Gottes Sohn zu sein, ordnete er sich seinen menschlichen Eltern unter.
Kinder sollten ihren Eltern gehorsam sein, unabhängig vom Charakter oder Glauben der Eltern, da dies eine grundsätzliche Verpflichtung ist (S. 68). Durch respektvolles Verhalten können Kinder die Herzen ihrer Eltern berühren und die familiäre Beziehung stärken, gerade auch, wenn sie nicht gläubig sind. Ein Kind, das „voll Geist“ ist, zeigt vorbildliches Verhalten, das sowohl das Familienleben als auch die gesellschaftliche Interaktion positiv beeinflusst. Genauso wie ein respektvoller Ehepartner trägt der Gehorsam der Kinder zu einer harmonischen und liebevollen Familienstruktur bei.
Im weiteren Verlauf wagt sich Lloyd Jones an eine Analyse des Denkens unserer Zeit. In früheren Zeiten herrschte eine übertriebene Einstellung zur Disziplinierung, die oft repressiv, brutal und manchmal sogar unmenschlich war (S. 75). Kinder wurden tyrannisiert und durften ihre Meinung nicht äußern. Heute hat sich diese Sichtweise ins genaue Gegenteil verkehrt (S. 76). Begriffe wie Recht, Wahrheit, Gerechtigkeit und Disziplinierung werden verabscheut. Die Grundidee, dass der Mensch im Kern gut ist, bildet die Basis; die Persönlichkeit des Kindes wird gefördert und entwickelt, ohne dass Korrekturen erlaubt sind.
Diese veränderte Sichtweise hat erhebliche Auswirkungen auf die Lehrmethoden. Heutzutage wird der Lehrstoff interessant gestaltet, und Kinder können sich für Inhalte entscheiden, die sie lernen möchten. Statt mechanistisch auswendig zu lernen, bekommen sie Erklärungen zu den Themen. Laut Lloyd-Jones hat dies jedoch zur Folge, dass viele Kinder nicht mehr richtig schreiben und lesen können.
In seiner Analyse beschreibt Lloyd-Jones, dass Gefängnisse heute nicht als Orte der Bestrafung gesehen würden, sondern als Einrichtungen für psychologische Behandlung. Er führt aus, dass diese Behandlung dazu dienen solle, den Charakter und die Persönlichkeit der Insassen aufzubauen (S. 83). Lloyd-Jones identifiziert diese Perspektive als die vorherrschende Idee in Bezug auf den Umgang mit Verbrechen in der heutigen Zeit.
Im weiteren Verlauf seiner Gesellschaftsanalyse betont er, dass die Tragödie der heutigen Zeit darin besteht, dass anstelle von „falscher Zucht und Ermahnung“ überhaupt keine Zucht und Ermahnung mehr stattfindet. Er hebt hervor, dass Gnade nicht Gesetzlosigkeit bedeute, obwohl dies von manchen Christen so verstanden würde. Lloyd-Jones geht weiter auf die theologischen Probleme unserer Zeit ein, insbesondere auf das Missverständnis, dass Gott über Sünde hinwegsehen würde. Dies entspricht weder dem Alten noch dem Neuen Testament (S. 93f.).
Er betont, dass die Folgen des Sündenfalls oft geleugnet werden. Der Mensch sei ein Rebell, ein Geschöpf voller Lüste und Leidenschaften (S. 97), und daher brauche er Zurechtweisung. Schlichte Appelle seien nicht ausreichend; Disziplinierung sei notwendig und gleichzeitig eine Gratwanderung. Lloyd-Jones betont, dass Eltern ihre Kinder in der Zucht und Ermahnung des Herrn erziehen müssen, sie dabei aber nicht zum Zorn reizen dürfen, wie es im Epheserbrief beschrieben wird (S. 104).
Beurteilung
Das Buch erläutert schlüssig, warum Kinder ihren Eltern gehorsam sein sollten. Was mich aber stört sind einerseits die zahlreichen pauschalen Behauptungen über die Welt außerhalb der „christlichen Blase“, die er nicht zu kennen scheint. Andererseits stört mich, dass in seiner „biblischen Erziehung“ wenig Platz für eine „christliche Erziehung“ bleibt. Zumindest kommt Jesus Christus keine tragende Rolle zu.
Die Aspekte im Einzelnen:
Die Gesellschaftsanalyse von Lloyd-Jones wirkt etwas merkwürdig, wenn er behauptet, dass Erziehung insgesamt abgelehnt werde. So eine pauschale Behauptung ärgert jeden Erziehungswissenschaftler, der sich jahrelang mit Erziehung beschäftigt und davon überzeugt ist, dass Kinder Menschen brauchen, die sie prägen. Vor allem stimmt es so einfach nicht. Die Vorstellungen, „wie“ erzogen wird, mögen außerhalb seiner „Blase“ andere sein, aber es gibt kein Gesellschaft, in der nicht erzogen wird.
Reformpädagogische Ideen des entdeckenden Lernens lehnt Lloyd-Jones pauschal ab. Die Kinder sollen nicht entdecken oder sich etwas selbst aneignen. Die Lösung von ihm favorisierte Lösung aller bildungspolitischen Herausforderungen ist hingegen: mechanistisches Einprägen. Quasi wie zu Zeiten des Alten Testaments, als Wissensbestände überwiegend durch Auswendiglernen weitergegeben wurden, es keine Schulbücher gab und nur eine kleine Elite lesen und schreiben konnte. Ganz ehrlich: Soll das wirklich die Lösung sein?
Dann sind da noch solche Behauptungen, dass „die“ moderne Pädagogik und Psychologie jegliche Korrektur des Kindes ablehnt. Es bleibt völlig offen, wie Lloyd-Jones zu diesem pauschalen Schluss kommt. Lloyd-Jones scheint überhaupt nur eine psychologische Richtung zu kennen: die humanistische Psychologie. Die „humanistische Psychologie“ ist für ihn gleichgesetzt mit „Psychologie“ und darauf schießt er sich ein. Anmerkung am Rande: In Deutschland haben nur Psychotherapeuten eine Kassenzulassung, die nach einem anerkannten Therapieverfahren arbeiten. Ob die Einordnungen der Kassen da passend sind oder nicht, darüber lässt sich streiten. Verfahren der humanistischen Psychologie gehören jedenfalls nicht dazu!
Der christliche Aspekt, insbesondere die Bedeutung von Jesus Christus in der Erziehung, fehlt in seinem Werkes weitgehend. Den Anspruch erhebt er auch nicht – schließlich spricht er ja nicht von „christlicher“ Erziehung, sondern von „biblischer“ Erziehung. Trotzdem hätte ich mir gewünscht, dass dort die Rolle von Jesus Christus irgendwie zum Tragen kommt – aus meiner Sicht ist er schließlich der Mittelpunkt der Bibel. Die Beschränkung auf vier Verse in Epheser 6 und einen kleinen Teilaspekt biblischer Erziehung scheint mir ein wenig zu bruchstückhaft, um von einem umfassenden Konzept biblischer Erziehung sprechen zu können. Genau das hätte ich aber bei dem Titel erwartet.
Hilfreiche Denkanstöße:
Worin stimme ich Lloyd-Jones zu? Der Hinweis auf die Schöpfungsordnung betont die natürliche Rolle der Eltern in der Erziehung und ihre Verantwortung. Die Eltern haben die Aufgabe, ihre Kinder zu erziehen. Kinder haben die Verantwortung zu gehorchen – das ist so nicht modern und wird selten ausgesprochen, aber auch darin stimme ich zu. Und eigentlich stimmt da auch jeder zu, der im pädagogischen Umfeld arbeitet – zumindest in seinem Handeln. Gehorsam wird von Kindern in unserer Gesellschaft einfach abverlangt. Wer nicht gehorcht, wird es schwer haben in der Schule, wird von einer Bildungsinstanz zur nächsten geschoben und keinen Arbeitsplatz lange halten können. Auch die Justiz beschäftigt sich mich Menschen, die einfach nicht gehorchen. Selbst im Kindergarten bekommen diese Kinder eine „Sonderrolle“, die im Stuhlkreis einfach ständig stören. Kein Erzieher und kein Lehrer wird darauf verzichten, ein Mindestmaß an Gehorsam einzufordern.
Was Lloyd-Jones nicht weiß: Christen und christliche Eltern sind nicht die einzigen, denen das Einfügen in Strukturen wichtig ist! Die im gesellschaftlichen Trend liegende „autoritative Erziehung“, die klare Regeln und Unterstützung kombiniert, passt sogar sehr gut zu Lloyd-Jones Vorstellungen. Allerdings wird das Lloyd-Jones kaum sehen können. Für ihn gibt es in der Gesellschaft ja keine Erziehung, keine Ermahnung und keine Zurechtweisung.
Lloyd-Jones macht einen wichtigen Punkt: Entgegen eines übertriebenen Optimismus und des generell positiven Menschenbildes zeigt er auf, dass die menschliche Natur durch den Sündenfall ein Problem bekommen hat.
Warum geht er aber beim letzten Punkt nicht weiter? Das Herz des Menschen ist neidisch, egoistisch und unersättlich. Durch Erziehung können wir mit den Folgen umgehen. Wer „gehorsam“ ist, beherrscht irgendwann einmal die Höflichkeit. Er kann sein undankbares Herz verstecken und sagt höflich „Danke“. Er hält sich zurück, die Nachbarn zu beschimpfen und der Oma alles an den Kopf zu werfen, was dort herumschwirrt. Umgangsformen helfen ihm und vor allem seiner Umwelt, mit der Gefallenheit und dem Schlechten im Herzen umzugehen. Warum um alles in der Welt geht Lloyd-Jones gar nicht auf Jesus Christus ein, der nicht nur Höflichkeitsformen anerzieht, sondern auch Herzen verändern kann?